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Sven-Julien Kanclerski
High Pop
September 8 - October 6, 2024

Sven-Julien Kanclerski

Sven-Julien Kanclerski

Sven-Julien Kanclerski

Sven-Julien Kanclerski

Sven-Julien Kanclerski

Sven-Julien Kanclerski


High Pop ist Ausstellungs- und Werktitel zugleich: Die raumbezogene, kinetische Installation High Pop (2020/2024) von Sven-Julien Kanclerski setzt sich aus einer überdimensional groß skalierten Lachgaskapsel und einem semitransparenten, hautfarbenen Riesenluftballon aus dem Fetischbereich zusammen. Der Hals der silbernen Lachgaskapsel aus dem 3D-Drucker ist mit dem mit Luft gefüllten Latexballon verbunden, wodurch die Skulptur frei im Raum schwankt und in alle Richtungen pendelt - ganz nach dem Stehaufmänchen-Prinzip. Das regt die Besucher:innen an, sich dem ominösen und zugleich vertrauten Objekt zu nähern, um die seidenmatte Gummioberfläche und verzerrt-quadratischen Reflexionen des weißen Raums des zqm mit seinen Neonlichtern darin genauer zu betrachten. Nicht nur der markante Gummigeruch der Skulptur, sondern auch die extrem gespannte Latexoberfläche provoziert, eine Berührung zu riskieren.

Ein kurzes Einatmen aus dem prallen Luftballon, hinfort schweben und alles vergessen. Der kurze Rausch vom Lachgaskonsum, das in der Medizin als Narkosemittel eingesetzt wird, erfreut sich seit Jahren bei Jugendlichen wachsender Beliebtheit: Das ''Hippy Crack'' begegnet Kanclerski zum ersten Mal während seines Studienaufenthalts in Großbritannien. Große Mengen der kleinen Lachgaskapseln sammeln sich jedes Wochenende auf den Straßen und Bürgersteigen Londons (bis Hannover und Berlin) und finden als überdimensionierte Kapseln so Eingang in Kanclerskis skulpturale Werke. Vom Aufschäumen von Sahne über das Aufblasen von Ballons bis hin zum Inhalieren für den illegalen Trip zeugen die Stahlkartuschen in unterschiedlichen Formen als futuristische Container vom Genuss, Hochgefühl und Fetisch. Looner ist eine Bezeichnung für Personen mit einem Luftballonfetisch. Dieser Fetisch ist als Spektrum zu verstehen, den Menschen mit dieser Vorliebe individuell durch vorgefertigte wie personalisierte Luftskulpturen ausleben. Die aufblasbaren Latextballons stehen im Mittelpunkt: Manche wollen das Material berühren, den Ballon auf der Haut reiben, mögen das Geräusch oder den Geruch und wieder andere erregt es, die Luftballons zum platzen zu bringen oder sie von innen zu begehen. Kanclerskis Werk greift alltägliche Objekte und Erlebnisse der Straßen- und Jugendkultur auf und verwandelt sie in überdimensionierte Skulpturen - gleichzeitig vertraut und absurd. Diese künstlerische übertreibung lädt die Betrachter:innen dazu ein, die Verbindungen zwischen Genuss, Konsum und Fetischismus neu zu betrachten und kritisch zu hinterfragen.

Im Dialog zur Skulptur steht die Fotografie Untitled (Pflaumen) (2024) von Sven-Julien Kanclerskis, die er 2021 während seiner Residency in der Art Encounters Foundation Timişoara in Rumänien schoss. An einem heißen Augusttag fuhr der Künstler mit dem Fahrrad ohne Ziel durch die Straßen der Stadt stets die Analogkamera griffbereit. Die überreifen, teils von Fußgänger:innen zertretenen oder anderen Radfahrer:innen platt gefahrenen, Pflaumen auf der Straße erregten seine Aufmerksamkeit - einerseits die matte Haut und das glänzende Fleisch der Früchte, dazu das Summen der Bienen und Wespen und andererseits Assoziation zu Kindheitserinnerungen. Kanclerski hält die urbanen Oberflächen fest, indem er verlassene Ecken, achtlos Weggeworfenes und kulturelle Relikte am Straßenrand fotografiert. Jede Aufnahme erzählt von menschlicher Präsenz und der Vergänglichkeit des Alltags.

Im zqm vereinen sich Erzählstränge seiner Werke, seiner künstlerischen Praxis und des einzigartigen Raumkonzepts als absoluten, destillierten White Cube. Kanclerski bezieht die Auswirkungen des Warenfetischismus bewusst in den Entstehungsprozess seiner Objekte ein, wobei er künstlerische Strategien wie Skalierung, Hybridisierung und Materialveredelung einsetzt, um zweckorientiertem Design eine ironische Wendung zu geben, jedoch nicht in Form von Readymades, sondern eines absurden Wiedererkennens. Seine Objekte vereinen das Vertraute mit dem Fremden und schaffen so ein sensibles Gleichgewicht zwischen dem Alltäglichen und dem Außergewöhnlichen. Seine Werke loten die subtilen Grenzen zwischen Funktionalität und ästhetik aus und offenbaren dabei die vielschichtigen Facetten unserer Pop- und Konsumkultur, während sie gleichzeitig die tief verwurzelten (Waren)Fetische und Widersprüche der gegenwärtigen Gesellschaft auf eindrucksvolle Weise reflektieren.

Sven-Julien Kanclerski (1988, Langenhagen) studierte an der Hochschule für Bildende Künste (HBK) Braunschweig bei Björn Dahlem, Anne Pöhlmann und Thomas Rentmeister, wo er 2018 diplomierte und 2019 mit dem Meisterschüler abschloss. Der Künstler war in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten, u. a. in: TransMission, KV Kunsthalle Hannover; Radiance – 40 Jahre, Kunstverein Lüneburg (beide 2024); fly Away / walking in the sunshine, Galerie BOHAI (Hannover, 2023); Stoned Raiders, Stella, Galerie im Ring-Center 1 Berlin (2022); NON STOP, Art Encounter Foundation (Timişoara, Rumänien); 89. Herbstausstellung, Kunstverein Hannover (beide 2021); Lichtparcours Braunschweig, Stadtraum Braunschweig (2020); i take the turtle one, Square Gallery Chelsea College (London, 2018). Im Jahr 2023 und 2022 erhält Kanclerski das Neustart Kultur Stipendium der Stiftung Kunstfond. 2020 wurde er mit dem einjährigen Nachwuchsstipendium Niedersachsen ausgezeichnet, das er 2021 in der Villa Minimo (Hanover) verbrachte. Kanclerski lebt und arbeitet in Hannover.

Mentorenschaft von Olga Nevzorova und Alexander Wilmschen

Die Ausstellung wird gefördert durch das Kulturbüro der Landeshauptstadt Hannover.

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