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Nina Paszkowski
URGE
September 12 - October 18 2025

Nina Paszkowski

Nina Paszkowski

Nina Paszkowski

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Nina Paszkowski

Nina Paszkowski

Nina Paszkowski

Nina Paszkowski

Nina Paszkowski

© Nina Paszkowski

Arme, Beine, Äste und Körper in Sepia und Blau kriechen und wachsen über weiße Flächen, fließen und tropfen auf den Boden. Sie überwuchern die Wände, heben sich hervor aus der Zweidimensionalität des Papiers, aus dem sie bestehen, und scheinen sich zu bewegen - fast sogar zu atmen. Der Raum hat sich verändert. Was einst ein leerer, fensterloser, weißer Kubus war, beleuchtet von klinischem Licht, ist nun ein Ort, der von einem organischen Geflecht aus Entitäten bewohnt wird. Die scheinbar unkontrollierte Wucherung im Ausstellungsraum ist jedoch das Ergebnis einer präzisen, fast chirurgischen Bearbeitung durch das Skalpell der Künstlerin. Nina Paszkowski agiert als Gärtnerin, die das scheinbar organische Chaos aus Farbe und Linie in Strukturen bringt, indem sie das überflüssige Papier entfernt. Heraus schält sich das Ergebnis einer intensiven Auseinandersetzung Paszkowskis mit ihrem eigenen Körper und Geist.
Zusammen mit der Performancekünstlerin Celine Bellut erforscht sie mit Hilfe der Achtsamkeitspraxis des Authentic Movements¹ die eigenen Emotionen, Verlangen und Impulse und übersetzt sie durch Bewegungen in Zeichnungen. Diese fertigt sie während mehrerer Performance-Sessions unmittelbar an den Wänden des Raumes an, den sie zuvor bis auf den Boden vollständig mit Papierbahnen ausgekleidet hat. Bei der Ausführung der Bewegungen konzentriert sie sich mal auf einzelne Körperteile, mal auf den Körper als Ganzes und entscheidet intuitiv, ob sie dem Drang der Bewegung nachgibt oder aber gegenteilig handelt. Durch die Dokumentation der Bewegungen im Raum entwickeln sich regelrechte Infektionsherde, aus denen Formen und Figuren zu wachsen beginnen. Die anschließende Arbeit mit Tusche verfestigt diese im Raum und lässt die Wucherungen chronisch werden.
Nina Paszkowski verwendet dabei Sepia- und Blautöne, die an Illustrationen in anatomischen Atlanten erinnern - etwa in 'Henry Gray's Anatomy of the Human Body'², in denen die Blutgefäße mit sauerstoffreichem und sauerstoffarmem Blut rot oder blau dargestellt werden. Die Tusche wird zu Arterien und Venen, die sich auf den weißen Papierbahnen ausbreiten. Sie bilden Formen, die zwischen Körperlichkeit und Abstraktion variieren. Gegenständlichkeit wird von Gegenstandslosigkeit abgelöst.
Dem Werk liegt hier der Drang zugrunde: der Drang nach Kunst als Selbsterfahrung, der künstlerische Schaffensdrang per se, der Drang des Hinzufügens und Wegschneidens, aber auch der Drang nach dem Spiel des Nachgebens und Gegenhaltens. Dieser intensive Prozess, einer Geburt gleichend und das Innere nach außen kehrend, wird nicht nur symbolhaft in den fertigen Cut-Outs der Künstlerin sichtbar, sondern auch durch die Erfahrung im Ausstellungsraum. Farben und Formen umgeben die Betrachtenden, reichen bis zu den eigenen Füßen und fordern regelrecht zur Verschmelzung von Mensch und Werk auf. Jeder Blick lässt Neues entdecken - bekannte Formen, irritierende Momente. Und so wuchern auch die eigenen Gedanken wild, in mehreren Phasen, durch den Kopf.
Wie ein Myzel aus Gefühlen, Bewegungen und Impulsen durchzieht Paszkowskis Werk Raum und Mensch - ein lebendiges Gewebe, das zugleich pflanzlich wuchert und anatomisch präzise pulsiert.

Jana Jarzembowski

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1 Eine Form der Bewegungstherapie und Achtsamkeitspraxis, die durch die Tanztherapeutin Mary StarksWhitehouse (1911-1979) und später ihre Schülerin Janet Adler (1941-2023) entwickelt wurde. 2 erstmals erschienen unter dem Titel 'Gray's Anatomy: Descriptive and Surgical' im Jahre 1858 gilt es noch heute als Standardwerk der Anatomie.

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