logo zwanzigquadratmeter, Projektraum, Berlin


Katharina Reich
O on O
Juni - Juli 2024
/
zqm Katharina Reich

zqm Katharina Reich

zqm Katharina Reich

zqm Katharina Reich

zqm Katharina Reich

Katharina Reich
O on O

Es ist der 25. Mai 2024. Ich sitze mit Katharina nicht weit vom zqm entfernt vor einem kleinen Café und trinke Cappuccino in der Sonne. Wir waren kurz zuvor im Projektraum, haben uns gemeinsam ihre neue Installation "O on O" angeschaut und intensiv über unsere Ideen und Empfindungen dazu gesprochen. Nun erzählt mir Katharina von ihrer Kindheit, ihren russlanddeutschen Eltern, die mit ihr in den 90ern nach Deutschland (re)migrierten. Wir gehen weiter zurück in der Zeit, sprechen über die Russlanddeutsche Siedlungsgeschichte, wie Katharina die Große im 18. Jahrhundert Deutschen in Russland Land offerierte, ihnen wirtschaftliche Vorteile und Vergünstigungen versprach. Viele folgten dem Ruf und ließen sich erfolgreich in Regionen wie der Wolga und später in Südrussland (heute Ukraine), Kasachstan und Sibirien nieder. Sie bewahrten zum großen Teil ihre Kultur, Sprache und Religion und blieben unter sich. Ende 19./Anfang 20. Jahrhundert führte das, als auch ihre bis dato bestehenden Privilegien, zu ersten Spannungen. Als die Bolschewiki unter der Führung Lenins durch die Russische Revolution an die Macht kamen, litten viele deutsche Kolonien unter Plünderungen und Gewalt. Es entwickelte sich eine Anti-deutsche Haltung, die während des zweiten Weltkriegs einen Höhenpunkt erreichte. Russlanddeutschen wurden pauschal als ''Volksfeinde'' betrachtet. Stalins Regierung ordnete in den 1930er Jahren die Deportation der gesamten Wolgadeutschen Bevölkerung nach Sibirien und Zentralasien an. Hunderttausende litten unter den katastrophalen Bedingungen während der Deportation und Zwangsarbeit. Russlanddeutsche wurden enteignet, verhaftet oder erschossen. Viele wurden während der NS-Zeit aber auch in deutsches Gebiet zwangsumgesiedelt, um dann nach der deutschen Niederlage als ''Displaced Persons''1 in Arbeitslagern interniert und schlussendlich den sowjetischen Militärbehörden ausgeliefert und in die Sowjetunion deportiert zu werden. In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg blieben die Russlanddeutschen unter strenger überwachung und durften nicht in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete zurückkehren. Erst ab 1955 waren sie wieder frei sich einen eigenen Wohnort zu wählen. Der Zerfall der Sowjetunion führte in den 90er Jahren zu einer massiven Auswanderungswelle nach Deutschland.2

Darunter auch Katharina und ihre Eltern - und mein eigener Vater mit seiner Familie. In Deutschland angekommen, machte sich, laut Erzählungen meiner eigenen russlanddeutschen Familie, zu Anfangs ein sicheres Gefühl breit. Endlich ''Zuhause'', endlich ''Heimat''? Zuletzt in Russland als die ''Deutschen'' diffamiert, wurden sie nun jedoch in Deutschland in abwertender Manier als die ''Russen'' betitelt und diskriminiert. Ein Verschleiern der eigenen Wurzeln war die Konsequenz, eine Identitätskrise, die sich über die letzten zwei Jahrhunderte gefestigt hatte und bis heute andauert. Beide machten Katharina und ich die Erfahrung, dass die Traumata der Vergangenheit - das wiederholende Moment der Migration, die Forderung und Erwartung der kulturellen Anpassung, die doppelte Fremdheit und die Nachwehen des immerwährenden überlebenswillens angesichts von Widrigkeiten und Verfolgung - nicht aufgearbeitet wurden.

Eine Bürde und Themen, die Katharina in ihren Tagebüchern privat aufarbeitet, aber auch öffentlich in ihrer Kunst spielerisch bis hyperästhetisch in die Welt hinauslässt. Ihre Bildsprache ist dabei so universal, dass die Betrachter*innen durch das eigene kulturelle Gedächtnis3, die eigene Sozialisierung und den eigenen Erfahrungsschatz getriggert werden.

Katharina baut aus allgemein bekannten Objekten oft geometrisch anmutende Formen, die in raumgrei- fende, skulpturale Installationen münden. Diese machen in ihrem Ergebnis neue Interpretationswege auf, werden ihrer ursprünglichen Funktion zumeist vollständig enthoben. Die Objekte stammen aus ihrem über Jahre zusammengetragenen Sammlungs-Archiv. In der Ausstellung ''O on O'' im zqm - das für diese Ausstellung einen grauen, an eine Lagerhalle erinnernden Bodenanstrich erhielt - zeigt sie daraus eine Konstellation aus Grabvasen, Steckschaum und grell-orange leuchtenden Plastikkisten. Letztere ordnete die Künstlerin, eng am Eingang zum Ausstellungsraum positioniert, zu einem rechteckigen, fast menschenhohen Turm an. Darauf platzierte sie dunkelgraue Steckschaum-Quadrate, in welche jeweils eine grüne Grabvase eingesetzt wurde. Auf diese wurden wiederum jeweils eine weitere Grabvase gespiegelt anmontiert. Die gebrauchten Vasen stammen von Friedhöfen, die die Künstlerin über die letzten Jahre besuchte. Sie ersetzte vor Ort die Vasen durch neue und nahm die teilweise stark verschlissenen mit. In ''O on O'' sind zwar einige der Vasen durch liebevolle Aufschriften von Hinterbliebenen der Verstorbenen als Erinnerungsträger erkennbar, verlieren aber durch ihre Anordnung gänzlich ihre Funktion. Sie ragen in ihrer verkehrten Dopplung wie Bomben oder kleine Soldaten, die sich statisch nur durch ihre enge Anordnung gegenseitig stützen, über den Köpfen der Besucher*innen. Die Beengung beim Eintreten in den Raum löst sich nach einigen Metern und das Gesamtbild der Installation wird wahrnehmbar. Sie steht wie ein Denkmal im Raum, wirkt im fensterlosen zqm wie für die Ewigkeit konserviert und hinterlässt ein ambivalentes Gefühl. Es changiert zwischen extremer Anziehung durch die geschaffene ästhetische Situation, die vor allem durch den Kontrast der Farb- und Formzusammenstellung zu entstehen scheint und einer intrinsischen Ablehnung, die schwer zu fassen ist. Sie gerinnt zu einem Gefühl der Fremdheit.

Nach einer kurzen Stille schaut mich Katharina an und sagt ''Ich mag es, wenn Werke Fragen aufwerfen, dass man auch - früher oder später - eine Antwort bekommt.''

Miriam Jesske


1 "Behandelt wie ein drittklassiges Pack", Der Spiegel. 32/1983: https://www.spiegel.de/politik/behandelt-wie-ein-drittklassiges- pack-a-8e243274-0002-0001-0000-000014019660?context=issue
2 Dalos, György: Geschichte der RUSSLANDDEUTSCHEN. Von Katharina der Großen bis zur Gegenwart, Verlag C.H. Beck, München
3 Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. In: Derselbe: Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in den Josephsromanen. Beck, München 2006, S. 67-75, hier S. 70

download text in english here


zqm Katharina Reich






zqm/info(at)zqmberlin.org impressum/(c)zwanzigquadratmeter 2024