logo zwanzigquadratmeter, Projektraum, Berlin


Daniel Stubenvoll
Nosy Neighbours
19. Juli - 23. August 2024
Exhibition curated by Maja Lisewski

zqm Daniel Stubenvoll

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Daniel Stubenvoll
Nosy Neighbours

Mit Nosy Neighbours werden neue Arbeiten samt einer für das zqm entwickelten Installation von Daniel Stubenvoll präsentiert. In einer ungewohnten Direktheit verweist bereits der Ausstellungstitel auf den künstlerischen Schwerpunkt von Stubenvolls Schaffen: Relationen in und durch urbane Umgebungen - von Raum ergo Architektur, Entitäten und daraus erwachsende sozialpolitische Strukturen.1 In den hier präsentierten Werken sowie im Dialog mit den Räumlichkeiten richtet sich dieser Fokus u.a. auf die Verhandlung des (architektonischen) Modells. Mit der Frage, wie und ob eine Welt ohne Architektur für Menschen denkbar ist, konfrontiert Stubenvoll die Besucher*innen in der Geschichte WORLF (2024).

Unregelmäßig im Raum verteilt, reichen fünf Metallstreben vom grauen Boden bis zur Decke. Farbnasen und schnelle Pinselstriche zeugen von einem eher hastigen Paintjob. Neben dem Pinselstrich attestieren auch leicht verbogene Metallstücke eine einstige menschliche Präsenz. Wie ein indexikalisches Zeichen im Sinne von Charles S. Pierce vergegenwärtigen die technischen und doch filigranen Bauelemente ihre Beziehung zum Abwesenden: Wände oder andere architektonische Elemente, die vielleicht geplant oder gar vorhanden waren, werden in ihrer Existenz nur noch durch Spuren bezeugt. Trotz ihrer skelettartigen Erscheinung erwirken die Streben eine Rhythmisierung des Raumes und verweisen auf ihr Vermögen, die Beziehungen zwischen den Arbeiten zu verschieben, zu unterbrechen.

Mit der Werkgruppe Entity Logs (2023/24) finden sich vier skulpturale Wandobjekte aus Messing und Holz, zu weilen Ton und Fußmattenfasern an den Wänden.2 Bei einer Größe von je kaum zehn bis fünf- zehn Zentimetern folgen dünne Messingstreben teils dicht, teils distanzierter aufeinander, werden seitlich hinzugefügt, um sich letztlich zu kleinen architektonischen Gerüsten zusammenzufinden. Lötzinn dient als Kittmittel und verwandelt die goldglänzende Oberfläche mit Schweißnähten und Abreibungen in eine raue Landschaft. Ein materialästhetischer Griff, der eine zeitliche Historie des Objekts suggeriert. Dabei behalten die kleinen Objekte ihre Geschichte für sich. Manche abwehrender, als würden sie ein Geheim- nis hüten und keine Eindringlinge dulden. Andere wiederum recken sich mit einer unbesorgten Offenheit dem Ausstellungsraum entgegen. Welche Funktion sie hierbei einnehmen, - ein Modell für ein nicht realisiertes Projekt, eine Miniatur bereits existenter Architektur, archaische oder futuristische Visionen? - bleibt offen. Es mag die Verbindung aus schimmernder Fragilität und stabilem Gerüst, Architekturmodell und Utopie sein, die ihre Anziehungskraft ausmacht und zugleich eine immanente Verortung - zeitlich oder funktional - verwehrt.

Wie beim architektonischen Modellbau sind die Entity Logs keinem zwingenden praktikablem Kon- zept unterworfen. Sie agieren als kleine ökosysteme autark, ohne Beirren durch ihre reale Umgebung. Autark vielleicht auch aufgrund ihrer kompositorischen Relation und Verwandtschaft untereinander. So ist ein zentrales künstlerisches Vehikel für Stubenvolls konzeptuelle Praxis das der Serie. Der Begriff "Entity Logs" - eigentlich ein Fachbegriff aus der Informatik - beschreibt Protokolle, die Informationen über Entitäten in einem System abbilden, änderungen oder Löschungen von Objekten festhalten. Auch Stubenvolls Entity Logs protokollieren Differenzen und Veränderungen innerhalb der Werkgruppe, heben sie sogar hervor. Zudem schließen sie in ihrer Formsprache, geprägt vom Material des Messings, an die Serie Entity Models (2022) an - eine stetige Fortsetzung oder ein Moment des Recyclings, wie es der Künstler nennt.3

Neben dem Ansatz der stetig konzeptuell weiterentwickelten Serie befragt Stubenvoll auch das Konstrukt der Kopie: Irgendwo zwischen Appropriation Art und Nouveaux Realist werden mit Colour Edge (2024) drei fremde Fotografien aus einer Familien-Whatsapp-Gruppe als Werk postuliert. Ein veränderter Blick auf alltägliches Bildmaterial führt durch die Aneignung dessen künstlerische Lese- und Interpretations- möglichkeiten vor Augen:4 Rekontextualisiert entfalten die Amateurfotografien mit ihren intensiven Farb- kontrasten und künstlichen Lichtreflexen eine skulpturale Qualität, die eine eigene modellhafte Architektur zu besitzen scheint und ihre ursprüngliche Funktion in den Hintergrund treten lässt.
Entity Logs wie auch Colour Edge fordern auf ihre jeweils ganz eigene Art eine neuartige Begegnung mit dem sie umgebenden Raum heraus: Als Entitäten beanspruchen sie trotz ihrer Größe selbstbewusst den Platz. Verstärkt wird dieses Raumgefühl durch die Streben: Sie fassen zusammen, schließen aus, gren- zen ab. Mit dem Durchschreiten eröffnen sich in solchen Momenten der An- und Umdeutungen, Stück für Stück, Denkräume für Visionen oder Erinnerungen in und durch unsere gebaute Umwelt, die sich jeder- zeit verändern vermag.

Maja Lisewski

1 Die Dringlichkeit und Brisanz unserer gebauten Umwelt spiegelt sich neben allen gesellschaftlichen und politischen Diskursen auch in der zeitgenössischen Kunst wider, insbesondere in zahlreichen Ausstellungen und Projekten, die sich intensiv mit dem privaten Wohnraum auseinandersetzen. In diesem Zusammenhang und mit dem wachsenden Anspruch an ein geradezu performatives Ausstellungserlebnis scheint auch die symptomatisch zunehmende Präsenz von Ausstellungsarchitektur zu stehen. Die Frage, welche Verschiebungen innerhalb der Ausstellung (auf Kosten?) der Werke stattfinden, markiert eine der zentralen Ausgangsüberlegungen des Ausstellungsprojekts.
2 Die Materialien, die Stubenvoll in dieser Ausstellung und darüber hinaus verwendet - Holzstücke aus dem Modellbau, Fußmatten, Ton, Lötzinn, Messing, Zeitungspapier oder Kunststoffgitter - legen nahe, sie in der Tradition der Arte Povera oder der Nouveaux Réalistes zu verorten. Beide Kunstströmungen verwendeten ab den 1960er-Jahren "ärmliche" lies kostengünstige Material, Alltagsgegenstände und Fundobjekte als Bestandteile oder gar Inhalte von Kunstwerken. So ist auch in Stubenvolls materialästhetischen Entscheidungen die Bezugnahme und Einbeziehung unserer alltäglichen Umwelt angesichts seiner soziologischen Fragestellung nur folgerichtig. Profane Gegenstände und Fundstücke wurden zu Bestandteilen oder sogar zum Inhalt von Kunstwerken, ein Schritt hin zur Einbeziehung des alltäglichen Lebens in der zeitgenössischen Kunst.
3 Entity Models (2022) ging wiederum aus der Recherche zu Wohnungsutopien mit Boot Leg (2022) sowie architektonischen Details wie Messingfenstern hervor. Beide Arbeiten wurden im Entstehungsjahr 2022 bei der Ausstellung Daniel Stubenvoll: Beyond Limits 2 im Kunstverein Grafschaft Bentheim präsentiert, kuratiert von Muriel Meyer, künstlerische Leitung Kunstverein Grafschaft Bentheim.
4 Vgl. Daniel Stubenvoll, Bootleg (2022) und Wir fördern Wendigkeit (2016).

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