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Catharina Szonn
THE END IS HIGH Mai 2nd to 31st, 2025 ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() ![]() © Studio Replica Der offene Mund - insbesondere als Ausdruck des Schreis - zählt zu den eindrücklichsten Bildmotiven in der Kunstgeschichte. Er verkörpert Angst, Schmerz, Ekstase, Ärger oder Auflehnung, oftmals jenseits sprachlicher Verständlichkeit. Seine Darstellung changiert zwischen psychologischer Introspektion, existenziellem Ausdruck und gesellschaftlicher Allegorie. Im Spannungsfeld von innerem Erleben und äußerer Repräsentation wird der Schrei zum visuellen Brennpunkt des Unaussprechlichen. Bereits in der Antike finden sich Darstellungen extremer Emotionen - etwa in der leidenden Mimik Laokoons. Doch erst in der Moderne avanciert der Schrei zur autonomen Ausdrucksform existenzieller Erfahrung. Edvard Munchs berühmtes Gemälde "Der Schrei" (1893) bildet hierbei einen ikonografischen Höhepunkt: Die Figur, in einem Moment innerer Zerrissenheit erstarrt, artikuliert durch den weit aufgerissenen Mund ein Gefühl kollektiver Entfremdung und psychischer überforderung im Zeitalter der Industrialisierung. In der Folge wird der offene Mund zu einem wiederkehrenden Motiv bei Künstler*innen, die sich mit Grenzerfahrungen beschäftigen. Bei Francis Bacon entstellt der Schrei das menschliche Antlitz zur Fratze, als Spiegel traumatischer Nachkriegserfahrung. Seine schreienden Papstbilder, vor allem "Pope II", stellen die visuelle Referenz der im zqm entstandenen Installation "THE END IS HIGH"¹ von Catharian Szonn dar. Zentrale Protagonist*in der Szenerie ist eine industrielle Anschlagmaschine, ursprünglich in einer Bäckerei genutzt. Sie ist auf einem erhöhten, weiß lackierten Metallhocker montiert, der stark an die Linienführung des geometrisch gehaltenen Trons auf "Pope II" erinnert. Entgegen Szonns gängiger Praxis, ist die Maschine ihrer Funktion beraubt, der Schlagbesen ist entfernt und statt dessen ein Bildschirm eingelassen, auf dem ein Video im Loop läuft. Der gezeigte Film, untermalt mit Musik aus den 70ern und Originalsounds, verbindet das Real im zqm Gesehene mit einer Art Traumgeschehen, einer Gedankenwelt (etwa von der Maschine selbst?) voller (popkultureller) Referenzen aus Musik, Film und Kunstgeschichte. Er eröffnet eine groteske, humoristische Ebene, die einem psychedelischen Drogentrip nahekommt: Zu sehen sind ein rosa-glitzerndes Raumsonden-Herzbett auf dem Mond, auf dem sich eine gesichtslose golden gekleidete Roboterfrau räkelt, süße bunte Herz-Bärchen, die einem stillen Schrei eines weit geöffneten Mundes den Ton geben, die Bäckerei-Rührmaschine, die traurig im Regen steht, die Maske aus dem Blockbuster "Scream". Die Szenen werden durch Texttafeln unterbrochen, die Gedicht-Fragmente tragen. Diese wirken wie ein innerer, wilder Monolog, durchzogen von Selbstreflexion, Kritik an Rationalität und gesellschaftlichen Konstrukten, Entfremdung und der Suche nach Bedeutung in einer komplexen Welt. Kann das Wort - der (Auf-)Schrei - in dieser im überfluss produzierenden Informationsflut noch echtes Verständnis erzeugen? Wird die eigene Existenz durch das überanalysieren, die vorgegebenen gesellschaftlichen Normen und Strukturen so sehr entfremdet, dass das Individuum überhaut noch gehört werden kann? Nicht nur das Video ist in Bild und Wort in mehrere Dimensionen gegliedert, sondern auch das zqm wird in "THE END IS HIGH" durch weitere Materialebenen, die sich im Prinzip der Assemblage zusammensetzen, unterteilt: Neben dem Objet trouvé und Video sind die Wände des fast quadratischen Raumes mit Stretchfolie verkleidet. Davor ziehen sich hinter der Maschine mehrere LED Panels am Boden entlang. Jedes einzelne Element displayt ein eigenes Zitat aus Winfried Menninghaus' Abhandlung "Ekel, Theorie und Geschichte einer starken Empfindung"². Sie kreisen um die ästhetische, kulturelle und symbolische Problematisierung des Mundes - insbesondere des geöffneten Mundes - in der klassischen und modernen Bildhauerei bzw. Kunst. Er wird hier als ambivalente Zone zwischen Innen und Außen analysiert, zwischen Ausdruck und Formstörung, zwischen Begehren und Abscheu. "THE END IS HIGH" gleicht einem Traumprotokoll auf der Schwelle zwischen Innen- und Außenwelt - ein assoziatives Echo des Schreis, das mal flüstert, mal tobt. Zwischen Trash und Tragik, Ironie und Ernsthaftigkeit oszillierend, wird der offene Mund hier nicht nur zum Symbol einer unterdrückten Stimme, sondern zum Schauplatz jener Fragen, die Kunst nicht beantwortet, sondern offenhält. - Miriam Jesske ---------- 1 Francis Bacon, "Pope II", 1951, öl auf Leinwand, 199,30 x 137,50 cm, Kunsthalle Mannheim: https://digital-classroom.kuma.art/de/francis-bacon-pope-ii-e-learning 2 Menninghaus, Winfried: Ekel, Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Suhrkamp, 2002 Download text in english oder deutsch |
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